Paul
Stecken leitete 36 Jahre die Westfälische Reit- und Fahrschule, in der
auch Reiner Klimke seine Ausbildung begann. Der international
anerkannte Ausbilder und Dressurrichter Paul Stecken (91) - an der
Kavallerieschule Chef der Reiter Inspektion - betreut heute die
Olympia-Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke. Für die Dressur Studien
sprach Claudia Sanders mit dem ehemaligen Kavallerieoffizier. Ist Ihnen in Erinnerung wann und wo der Begriff „Skala der Ausbildung“ entstanden ist und welche Bedeutung er hatte?
An der Kavallerieschule Hannover und besonders in der Remonte
Ausbildung der berittenen Schwadronen innerhalb der Kavallerie
Regimenter, galten die "Grundsätze der Ausbildung" für Remonten im
1.und 2. Ausbildungsjahr. Der Begriff "Skala der Ausbildung" selbst
wurde wenig angesprochen. Die Reitlehrer kannten die Grundsätze und
beachteten sie als einzuhaltende Kriterien für die Ausbildung der
jungen Pferde. Alle Begriffe der Skala der Ausbildung waren schon
in der HDV 12, Ausgabe 1937 angeführt. In der Reihenfolge, in der sie
heute auch beachtet werden, sind sie dort im Inhaltsverzeichnis auf
Seite V aufgeführt. Lediglich der Ausdruck Schwung wurde mit
"Entwicklung der Schubkraft und des Ganges" beschrieben. Auf den Seiten
124 - 128 unter "Ausbildung der Pferde" werden im Einzelnen die
Begriffe erläutert. Die HDV 12 und die Ausgaben 1926 und 1934 wurden im
militärischen Teil verändert. Die Ausgabe 1937 hat in ihrem
unveränderten reiterlichen Teil heute noch - weiter entwickelt schon
wegen der Zuchtverbesserung - ihre Gültigkeit. Die Begriffe „Grundsätze
der Ausbildung des Pferdes" stellte nach dem Kriege, Ende der 50er
Jahre Horst Niemack als Skala der Ausbildung in den Vordergrund. Der
General a.D., war vor dem Krieg Angehöriger der Kavallerieschule,
danach in Hoya und Verden tätig und Leiter der Deutschen Reitschule in
Warendorf. In zahlreichen Vorträgen erläuterte Horst Niemack sehr
interessiert und engagiert die Punkte der Skala der Ausbildung, die
eingängig und klar zu vermitteln waren. Dass der Begriff „Skala der Ausbildung" eine große Bedeutung erlangte, ist im wesentlichen auf die Bemühungen von Horst Niemack zurückzuführen. Wenn
die Skala der Ausbildung vermehrt für die Ausbildung der Pferde gültig
war, was wurde dann in früheren Jahren für die Ausbildung der Reiter
besonders beachtet? Für die Ausbildung der Reiter stand an der Kavallerieschule und in den Reiter-Schwadronen das Gebiet der Reitlehre
deutlich im Vordergrund. Hierbei war die sorgfältige Unterweisung
wichtig, zum Beispiel über Sitz und Einwirkung des Reiters und die
Hilfengebung, lösende und versammelnde Lektionen, halbe und ganze
Paraden und die Anlehnung. Für die Pferde hatte der lockere Rücken als
Bewegungszentrum und das dazu erforderliche „Zügel aus der Hand kauen
lassen“ zur Dehnungsbereitschaft für die weitere Ausbildung eine große Bedeutung.
Ebenso wichtig wie die Begriffe der Skala der Ausbildung waren für die
Ausbildung von Reiter und Pferd drei Punkte zu beachten: Der Ausbilder
musste wissen was entsprechend Alter und
Ausbildungsstand der Pferde geritten werden konnte (Lektionen/Übungen),
um ein bestimmtes Ziel der Ausbildung eines vier- oder fünfjährigen
Pferdes zu erreichen. Außerdem stellte sich dem Ausbilder die Frage, wie man das reiten musste (Hilfengebung, Einwirkung, Bahnfiguren). Ganz wichtig war zudem, warum
diese oder jene Lektion geritten werden sollte, also die Frage: Was
bewirkt und erreicht man damit bei Pferd und Reiter? Der Ausbilder
musste hierzu bestimmte Zusammenhänge kennen, der Reiter musste
mitdenken - vor dem Können steht das Wissen - und
auf in gebotener Form gestellte Fragen überzeugende Antworten bekommen.
Zu all dem hatten erfahrene Ausbilder damals das erforderliche
Hintergrundwissen. Die Ausbildung (einschließlich Springen
und Gelände) der jungen Remonten begann grundsätzlich erst im 4.
Lebensjahr und die der alten Remonten endete (einschließlich
Kandarenausbildung) nach dem 5. Lebensjahr. Erst dann folgte - neben
Verbesserung einiger schwieriger und Förderung besonders veranlagter
Pferde – die Einstellung mit 6 bzw. 7 Jahren in den Schwadronsdienst. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Skala der Ausbildung in den vergangenen Jahrzehnten ein? Ohne
Zweifel fanden die sorgfältigen und eindeutigen Erklärungen der
Begriffe Skala der Ausbildung allgemeine Zustimmung und Beachtung. Mit
den 6 Begriffen wurden aber 2 weitere, wichtige Ausbildungsgrundsätze
weniger beachtet. Wir haben deshalb an der Westfälischen Reit- und
Fahrschule auch von den „Grundsätzen der Pferdeausbildung“ gesprochen,
die dann sowohl die Skala der Ausbildung und zusätzlich die Begriffe Durchlässigkeit und Aufrichtung erfassten. Beide Begriffe werden auch in der HDV 12, Ausgabe 1937, auf Seite V zusammen mit den 6 Begriffen angeführt.
Ohne Durchlässigkeit entsprechend Ausbildungsstand und Alter der Pferde
ist eine sinnvolle Weiterbildung von vier- und fünfjährigen Remonten
nicht möglich. Auch bei jungen Pferden verbessert sich nach und nach
die Durchlässigkeit (Rittigkeit), zum Beispiel beim Antraben,
Angaloppieren und Zurückführen zum Trab und Schritt. Anfang der
Neunziger Jahre wurde der Begriff Durchlässigkeit auf meinen Vorschlag
zur Skala der Ausbildung angeführt. Ein weiterer wichtiger Begriff ist zum Ende der Ausbildung jüngerer Pferde (fünf Jahre, alte Remonten) die Aufrichtung in Verbindung mit Anlehnung, beginnender Versammlung und ausbalanciert im Gleichgewicht. Die relative
Aufrichtung soll durch vermehrte Gewichtaufnahme der Hinterhand
erfolgen, wie es beispielsweise durch Schritt-Galopp, Sprünge
verlängern und zurückführen (nur gegenhalten und nachgeben, nicht
rückwärts und ziehen) erreicht werden kann. Die absolute
Aufrichtung dagegen erfolgt vermehrt durch Handeinwirkung. Der Rücken
ist nicht hergegeben und die Hinterbeine sind nicht aktiv zur
Gewichtaufnahme aufgefordert. Der lockere Rücken,
Stirnlinie sicher an der Senkrechten, gute Maultätigkeit und ein
ruhiger Schweif waren immer schon Beweise für richtiges Reiten und
Ausbilden. Solche Pferde können in innerer Losgelassenheit zu
bestimmten Lektionen alle Muskeln anspannen, aber auch wieder
entspannen, z. B. im Schritt, Halten oder bei Siegerehrungen. Welche
Bedeutung kommt dem Begriff Skala der Ausbildung heute zu, wenn er in
seiner Entstehung mehr für die Ausbildung der Pferde und weniger für
die Reiter galt? Grundsätzlich ist es gut und richtig,
dass die überlieferten Grundsätze der Skala der Ausbildung erweitert
durch den Begriff „Durchlässigkeit“ in der gesamten Reiterei deutlich
in den Vordergrund gestellt werden. Dieses sollte gelten vordringlich
für die Ausbildung der 4- und 5jährigen Pferde (junge und alte
Remonten) und für die Bewertung der Kriterien (für Ausbilder und
Richter) – auch wenn die Ausbildung der Reiter damit weniger
angesprochen wird. Die Pferdezucht hat in den letzten 40 bis 50
Jahren so deutliche Fortschritte gemacht, dass heute die Begriffe Takt,
Losgelassenheit, Anlehnung und dazu Durchlässigkeit in der Ausbildung
von 4jährigen Pferden (erstes Ausbildungsjahr) schon eine größere
Bedeutung haben als in früheren Jahren. Dies gilt besonders, weil junge
Pferde auch wegen der allgemeinen Verbesserung der Zucht ein Anreiten
schon mit 3 – besser mit 3,5 – Jahren zulassen. Selbst die Begriffe
Schwung, Geraderichten, Versammlung und dazu der Begriff Aufrichtung
können bereits am Ende des ersten Ausbildungsjahres und zu Beginn des
zweiten Jahres (fünfjährige Pferde) auf Grund der Zuchtverbesserung
(Hinterhandwinkelung, Rückenform, Halsaufsatz, Genick und Temperament)
vermehrt zur Geltung kommen. Tritte und Sprünge verlängern und Tempo
zurückführen zur Entwicklung der beginnenden Versammlung bereiten den
Pferden bei richtigem Reiten keine Schwierigkeiten. Erforderlich ist
allerdings auch hier, dass die Ausbilder genügend erfahren bzw. die
Reiter entsprechend vorgebildet sind. Herr Stecken, vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Heft "Klassisch vontra Classique". Zum Dressur-Studien Shop und Heft bestellen.
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